Alle Anwesenden auf dem kleinen Friedhof waren in schwarze Kleider gehüllt. Sie wohnten dem Begräbnis von Porter Moore bei, der nach einer schweren Krankheit gestorben war. Gleich neben dem schmucken Sarg stand Fran Moore, die sich damit abfinden musste, dass sie jetzt Witwe war, und weinte in eine Spitzentaschentuch von weisser Farbe. Die andern, Verwandte und nahe Bekannte, blickten andächtig auf den von Herbstkälte durchfrorenen, eisigen Boden. Der Pfarrer hielt eine kurze aber gute Rede. Er hatte anscheinend auch kalt. Nun wurde der Sarg an Seilen von zwei starken Männern in die Grube gehievt. Sie hatten trotz der Kälte Schweisstropfen auf der Stirn, nachdem sie den Schrein sorgfältig abgestellt hatten. Fran Moore liess eine Schaufelladung Erde auf den Sarg rieseln, dann begannen die Totengräber, das frisch ausgehobene Grab mit der klumpigen, feuchten, braunen Erde auszufüllen. "Verdammt, was poltert hier so. Ich will meine Ruhe!", hämmerte es ihm im Kopf und er wollte sich umdrehen, merkte aber, dass er an eine Wand stiess, die hölzern und hohl klang. Auf der anderen Seite wiederholte sich dasselbe. Also versuchte er aufzusitzen. Doch er schlug den Kopf an. Das Poltern war inzwischen leiser geworden und er hörte nur noch ein leichtes Rutschen von etwas, das auf dem Dach seiner Behausung war. Er fühlte sich eingeengt und hatte zu wenig Luft. Zudem war es dunkel, feucht und unbequem, aber irgendwie gefiel ihm dies. Es kostete einige Mühe, die übereinandergekreuzten Arme neben seine Körper zu legen. Nicht einmal recht bewegen konnte er sich, da er mit Stricken auf den Boden befestigt war. Als er noch schlief, lag er noch in einem weichen Bett und fühlte sich wohl, wenn auch ein bisschen fiebrig, bis viele Leute um ihn herumstanden und jemand ihn untersuchte. Dann wurde er weggetragen. An mehr konnte er sich nicht erinnern. Jetzt versuchte er die müden Glieder zu strecken, stiess aber allenthalben an. Beinahe geriet er in Platzangst. Er wollte schreien, um Hilfe rufen, brachte allerdings keinen Laut über die spröden Lippen. In dem weissen Hemd, das er zu tragen feststellte, fror er ziemlich. Er fragte sich, ob er ersticken, verhungern oder erfrieren würde. Am liebsten wäre er hier hinausgegangen. Nach einiger Zeit schlief er ein. Irgendwann erwachte er. Obwohl er wusste, dass es Morgen sein musste, blieb es stockfinster und die Luft war stickig. Erst jetzt bemerkte er, dass er nicht mehr zu atmen brauchte, was ihm seltsam und erschreckend vorkam. Er versuchte einzuatmen, doch dabei bekam er einen Hustenanfall und er musste sich übergeben, aber es kam nichts. Sogar am eisigkalten Handgelenk war kein Puls festzustellen. Immerhin würde er nicht ersticken, aber etwas ängstigte ihn, nämlich der kleine, dunkle, langweilige Raum in dem er sich befand. Er versuchte mit den Knien den Deckel aufzustossen und merkte bald, dass er verschraubt war. Zudem war das Holz zu fest, um es zu zerbrechen. Er hoffte, durch ständiges Rütteln die Schrauben zu lockern. Nach der Messe in der anliegenden Kirche ging Mrs. Moore noch einmal zum Grab ihres Mannes und legte einen Tannenzweig drauf. Dann betete sie still und betrachtete den kunstvollen Grabstein, deren Preis ihr keine Rolle gespielt hatte. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie das leichte Rütteln des Bodens nicht bemerkte und schliesslich zur Trauergemeinschaft zurückkehrte, die sich in ihre Autos zurückzog, um ins Restaurant zu fahren, wo das Leichenmahl eingenommen werden sollte. Mrs. Moore wurde von der Schwiegermutter Linda Moore gefahren, die sich ihrer tröstend und rührend annahm. Nachdem das Essen eingenommen worden war, begab man sich zu Mrs. Moore nach Hause. Eine drückende Stimmung lastete auf den Gemütern der Gesellschaft, besonders auf den nahen Verwandten. So waren dann alle froh, auch wenn sie es nicht zugeben konnten, als sich der Kreis auflöste. Nur die Schwiegermutter blieb über Nacht bei der Witwe und betraute sie. Sie kochte ihr Tee und versuchte, sie bei einigermassen guter Stimmung zu halten. Inzwischen waren einige Wochen vergangen und der Tod von Porter Moore war nicht mehr so aktuell. Gelegentlich ging Fran Moore auf den Friedhof, um die Vegetation auf dem Grab zu pflegen. Für sie lebte er nur noch auf Fotografien. Er war immer noch in seiner Holzkiste eingeschlossen, doch hatten sich die Schrauben langsam gelockert. Er hatte sehr fest abgenommen und hatte nicht das Verlangen, etwas zu essen. Er wurde fast zusehends dünner und leichter. Da er nicht mehr atmete, nahm er den Geruch in seiner Umgebung nicht wahr. Ausserdem dachte er weniger nach und lag ruhiger auf dem weichen Polster. Nur ab und zu versuchte er, die Schrauben ganz zu lösen, was auch von Tag zu Tag besser gelang. Nach langer Zeit, er wusste nicht wie lange, hatte er es geschafft. Mit grosser Anstrengung konnte er den Deckel um wenige Millimeter heben. Sofort fiel feuchtes, klumpiges Erdreich herein. Es würde eine Weile dauern, bis die Erde über dem Deckel erlaubte, ihn hochzustossen. Doch einmal war auch dies geschafft, ohne auch nur einen Schweisstropfen zu vergiessen oder Anzeichen von Ermüdung zu zeigen. Er grub sich, von Erde überschüttet, einen Tunnel nach oben, was auf Anhieb nicht gelang, weil der Tunnel immer wieder verschüttet wurde. Doch kühn steckte er den Kopf in die Erde; er konnte ja nicht ersticken. Er richtete sich auf und schaufelte sich mit den dürren Händen den Weg nach draussen vollständig frei. Feuchte Morgenluft wehte ihm entgegen und er stemmte sich aus dem Loch. Jetzt stand er in einem Blumenbeet, das auf der einen Seite durch einen weissen Marmorstein begrenzt wurde. Als er den Kiesweg entlang blickte, sah er eine weibliche Gestalt kommen. Er waren nun schon fünf Monate vergangen, seit Porter Moore beerdigt worden war und Fran Moore trat soeben durch das eiserne Friedhofsportal, zwischen hohen Mauern, die mit Spitzen versehen waren, um ihrem Gatten den regelmässigen Besuch abzustatten. Weiter vorne, etwa beim Grab ihres Mannes unter einer Tanne sah sie eine Gestalt, die aus dem Boden zu klettern schien. Langsam schritten die beiden aufeinander zu. Als sie ihn besser sehen konnte, schrie, kreischte und tobte sie schauerlich. Sie schüttelte sich und rannte irgendwo hin, denn vor ihr stand er in einem zerfetzten Totenhemd. Er war, wie all Toten, halb vermodert, war überall mit fauliger, klumpiger, feuchter, brauner Erde beklebt, stank fürchterlich und streckte die mit lederner Haut bespannten Knochenarme nach ihr aus. Er war Porter Moore gewesen. Copyright © Januar 1981, Wasty, Unter der Erde
Diese Geschichte ist an Sir Alfred Hitchcock gewidmet Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com |