Wasty Präsentiert: Die Wahl Der Qualen

Asche

Nur die einzelnen Schneehaufen an den Strassenecken zeugten noch vom vergangenen Winter. Es war typisches Frühlingswetter und die noch etwas schwachen Sonnenstrahlen würden auch den restlichen Schnee bald geschmolzen haben. Die Wiesen leuchteten in frischem Grün und Knospen schlugen aus den kahlen Ästen der Bäume und Sträucher. Krokusse und Schneeglöckchen wuchsen in kräftigen Farben aus dem Boden der Gärten in einem Vorort von Detroit.
Wenden wir uns nun dem frustrierten Hobbygärtner Edward Vandel zu, deren Haus sich um besagten Ort befand und in deren Garten die Blumenpracht des Frühlings nicht erscheinen wollte. Der zertrampelte Rasen war mehr braun als grün und er schämte sich, da jeder, der die Strasse entlang ging auch den Garten sah.
Mr. Vandel sass jetzt in seinem Fauteuil in der Wohnstube und las eine Zeitschrift über Garten und Pflanzen, die er abonniert hatte. Er hoffte auf nützliche Tips darin. Die Auswahl an Rasenmähern, elektrischen Heckenscheren und anderen preiswerten Gartengeräten interessierten ihn nicht. Was für Pflanzen hätte er auch damit pflegen sollen? Es folgten die Informationen über Setzlinge, die zur jetzigen Zeit zu pflanzen seien. Nun, in der Mitte des Magazins, kamen die "Tips des Monats" irgendeiner gescheiten ehemaligen Gärtnerin, was seine Aufmerksamkeit erweckte. Besonders ein Abschnitt stach ihm ins Auge, nämlich: Man solle, wenn die Pflanzen nicht recht wachsen wollen, Asche als Dünger verwenden, da Asche, gleich welcher Art, wichtige Nährstoffe enthalte und umweltfreundlicher und wirksamer sei, als gekaufter Dünger.

Leider hatte er keinen Holzofen oder offenen Kamin oder sonst etwas, was regelmässig Asche erzeugte. Im Keller hatte er jedoch noch Laub vom Herbst. Neben dem Komposthaufen entfachte er ein Feuer. Es rauchte so sehr, dass er Reklamationen der Nachbarn befürchtete, aber nach einer Viertelstunde bleib vom Rauch und Laub ein anschauliches Häufchen Asche übrig, das er sogleich auf den Beeten verteilte. Fürs erste würde es reichen und der Erfolg würde sich hoffentlich in zwei, drei Tage bemerkbar machen. Er nahm sich vor, morgen einen Aschenvorrat herzustellen, weil er seine vielen Beete alle zwei Tage zu düngen gedachte.

In den folgenden Tagen fragte er überall nach Gartenabfällen. Er anerbot sich als freiwilligen, grosszügigen Abfallabnehmer, um die Leute nicht auf die Idee zu bringen, etwas dafür zu verlangen.
Nach einer Woche war der Erfolg allerdings nur mässig. Trotzdem schauten da und dort grüne Spitzen aus dem Boden. Edward Vandel braucht noch mehr Asche, um den Bedarf seiner Schützlinge zu decken. Alle seine Vorräte und die der Nachbarn waren inzwischen aufgebraucht.
Nach dem Motto "fragen kostet nichts" erinnerte er sich an einen zwielichtigen Grossonkel, der, ja, der in einem Krematorium tätig war. Obschon es ihm ein bisschen abwegig erschien, ergriff er den Telefonhörer und wählte eine Nummer in Winnipeg. Am anderen Ende meldete sich ein Bertrand Vandel. Im Hintergrund dröhnten Maschinen, genau genommen Öfen... Edward schilderte ihm sein Problem und bat ihn um Zustellung von Asche. Nach einigen Sekunden Stille brach der Angerufene plötzlich in Lachen aus. Als er sich wieder gefasst hatte, scherzte er: "Das ist doch nicht Dein Ernst?" Er musste Tränen gelacht haben, denn er schluchzte und kicherte dann verschlagen.
"Doch, ich meine, was ich sage. Es ist doch möglich, dass ihr mal ein totes Reh oder überfahrene Hasen zu verbrennen habt. Vielleicht auch einen krepierten Landstreicher. Um einen solchen schert sich doch sowieso keiner. Schicke mir einfach die Asche. Du hast sicher noch meine Adresse." Und da Bertrand Vandel das war, was man einen alten Fuchs nennt, willigte er vergnügt ein und hängte auf.

Schon nach vier Tagen traf ein grosses, leichtes Paket aus Winnipeg ein. Edward Vandel öffnete es draussen, schon in Arbeitskittel. Die grau-schwarze Asche verbreitete einen unangenehmen Gestank und er streute sie sofort aus. Es reichte genau, um jedes Beet ganz zu bedecken. Zufrieden ging er ins Haus zurück und las in einer Zeitschrift.
Am kommenden Morgen, nach einer warmen, feuchten Nacht, stiessen schon grüne Spitzen durch den grauen Belag. Edward war verblüfft und hoffte auf rasche Nachlieferung von seinem Grossonkel, die abends auch eintraf. Es war ein Zettel dabei; darauf stand: "Milly Potter und Amy Potter". Was das bedeuten sollte, wusste er nicht. Gleich streute er die Asche aus.
Als er am nächsten Tag nach draussen ging, hatten die Blümchen schon kleine Blätter und er erfreute sich daran. Den ganzen Tag arbeitete er im Garten, der immer hübscher wurde. Die Leute, die von jetzt an die Strasse entlang laufen werden, würden staunen. Samstags kam das nächste Paket. Wieder war ein Zettel beigelegt. "Richley Hoggin, Joseph Harrison und Ethel" war mit schwarzer Tinte gekritzelt. Edward interessierte nur die Blumennahrung. Nach der Kaffeepause machte er sich sogleich an die Arbeit. Mit einem alten Schäufelchen verteilte er erneut die frische Asche. Als er fertig war, goss er die Blumen mit Wasser. Die verschiedenen Düngemittel für in das Wasser warf er gleich in die Mülltonne. Nun machte er sich auf den Weg zum Vortortszugbahnhof, wo er einen Zug nach Detroit bestieg, um einen Einkaufsbummel zu unternehmen. Er suchte mehrere Gartengeschäfte auf. In jedem nahm er Broschüren über fast alles, was mit Garten und Pflanzen zu tun hatte mit. Mit einem schweren Sack beladen machte er sich auf den Rückweg. Er hatte sogar noch ein Säcklein Stiefmütterchensamen gekauft. Zu Hause glaubte er, dass die Blumen schon wieder gewachsen waren.
Mittwochs, als schon Knospen zu sehen waren, kam die nächste Sendung. Diesmal war der beigelegte Brief länger und locker, in normaler blauer Schrift geschrieben: "Dein Wunsch ist uns Befehl! Du hast sicher schon gemerkt, dass die Namen der Personen, deren Asche Du auf Deine Blumen schüttest, auf den Kärtchen vermerkt waren. Teils waren es Landstreicher, aber auch andere Leute, ha, ha! Heute sind es Jane Canes und Evan Ferrier. Ich entziehe mich der Verantwortung, da es auf Deinen Wunsch geschah. Viel Vergnügen beim Pflegen des Gartens!" Edward Vandel war ganz blass, nachdem er die witzig gemeinte Nachricht gelesen hatte. So wie er seinen Grossonkel kannte, glaubte er aber jedes Wort. Er stürzte sich nach draussen, wo die Knospen schon aufgegangen waren und alles rot, blau und gelb leuchtete...

Ein Anwohner berichtete, dass er plötzlich seinen Nachbarn in Flammen auf einem Gartenbeet sich wälzten sah. Er hätte sofort die Polizei und Feuerwehr alarmiert, doch bis diese kamen, war er bereits tot und halb verbrannt. Auf dem Beet lag Asche und am nächsten Tag wuchsen dort prächtige, schwarz-blaue Blumen. Warum er sich selbst angezündete, wusste man nicht.

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Copyright © Januar 1981, Wasty, Asche
Originaltitel: Dung for the flowers
107 Linien
Vorlesezeit: ca. 6 Min.

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Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com

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