Er sass in seinem Büro auf einem Ledersessel, rauchte eine
dicke Zigarre und las eine Zeitung. Er war wohlgenährt und
machte einen zufriedenen Eindruck, denn er hatte soeben den neuesten
Schrei auf den Markt gebracht: Gummitiere; Spinnen, Schlangen,
Käfer, Echsen und so weiter, alle aus Gummi. Er hiess Alex
Wilson, war der Direktor dieser Firma, war ohne Konkurrenz und
machte gute Einnahmen. Er rief durch die Sprechanlage nach seinem
Sekretär Pit Brown: "Hey, Pit, ruf doch mal in der Fabrik
an und sag', sie sollen eine Gummispinne herstellen, die sich
bewegen lässt. Es versteht sich, dass sie möglichst
lebensecht wirken soll. Wer weiss, wie lang dieses Geschäft
noch blüht," fügte er noch hinzu. "Okay, Alex,"
endete Pit. Danach sah sich Alex Wilson die Listen über seine
Erfindungen in den verschiedensten Preislagen an:
Jahrmarkt: Lieferung 750 Stück, Nachbestellung 300
Warenhaus: Lieferung 900 Stück, Nachbestellung 200 pro Woche
Noch einige Linien mehr waren vermerkt, dann folgte:
Totaleinnahmen: 6800$
Zufrieden tätschelte er die weiche Schlange auf seinem überfüllten
Schreibtisch.
Eddie Brown, der Sohn von Pit Brown, einem Sekretär bei der
Firma 'Alex Wilson' hatte heute nachmittag schulfrei und fuhr
soeben mit seinem Fahrrad ins Warenhaus, das einige Strassen weiter
weg von seinem Zuhause war. Seine Kameraden hatten ihn mit ihren
Gummitieren neidisch gemacht und nun wollte auch er so ein Spielzeug
besitzen. Er trat in die kühle Luftschranke des Warenhauses.
Überall hingen Werbeplakate, die für diese Gummibiester
Reklame machten. Die Gestelle mit diesen waren dadurch nicht schwer
zu finden. Die verschiedensten Viecher in den verschiedensten
Preislagen mit den verschiedensten Effekten waren zu haben.
Er entschloss sich für eine Gummispinne, die sich mittels
einer kleinen Luftpumpe bewegen lässt. Es würde ein
Spass sein, seine Mutter zu erschrecken, da sie nahezu eine Allergie
gegen Spinnen hatte. Er bezahlte und fuhr stolz nach Hause.
In seinem Zimmer bepinselte er die Augen seines Erwerbs mit Leuchtfarbe
und strich den Rest noch lebensgetreuer. Das würde Spass
bereiten. Er verbrachte den übrigen Nachmittag damit, sein
Monster auszuprobieren. Manche alte Frau oder Mann liess sich
mit ihm erschrecken. Das war schliesslich die Hauptsache.
Eine kleine Korrektur war noch nötig: Eddie verlängerte
den Schlauch von der Luftpumpe zur Spinne.
Als es dunkel wurde, schlich er in den Keller. Er wusste genau,
dass seine Mutter, bevor sie zu Bett ging, nochmals nachschaute,
ob die Kellertür verschlossen sei.
Gespenstisch leuchteten die Augen der Spinne im dunklen Keller.
Plötzlich streifte sie ein Lichtstrahl, der durch das Öffnen
der Kellertüre verursacht wurde. Seine Mutter kam. Sie drehte
das schummrige Licht an. An der Lampe hing ein Spinnennetz. Es
schauderte sie, denn sie hatte eine panische Angst vor Spinnen,
auch wenn sie nur daran erinnert wurde.
Mrs. Brown stieg die Treppe hinunter und Eddie drückte sich
fest in sein Versteck. Nur ein kaum sichtbarer Schlauch schaute
aus dem Schrank. Seine Mutter kam und sah die Gummispinne angewidert
an. Es ekelte sie und sie blieb stehen. Sie wollte sich schon
lange diese Furcht abgewöhnen und zwang sich, weiter zu gehen.
Da sprang das Gummitier plötzlich auf Mrs. Brown zu. Sie
sah aus den Augenwinkeln eine Bewegung und drehte sich. Eine schwarze
Spinne mit grünlich leuchtenden Augen sauste auf ihr Gesicht
zu. Mit einem gellenden Schrei kippte sie um. Sie rührte
sich nicht und ihre Augen waren matt und verdreht. Eddie stahl
sich aus dem Schrank. Er gratulierte sich zu dem gelungenen Streich
und wollte mit seiner Spinne aus Gummi in sein Zimmer verschwinden,
doch er hatte das Gefühl, dass er sich um seine Mutter kümmern
musste. Wer konnte denn von dieser Todesfurcht von Spinnen wissen?
"He, Ma, wach auf. Ich bin's. Es war nur ein Scherz."
Als sie sich nicht rührte, tätschelte er ihre Wange.
"Ma, was ist denn? Ma!" Er rüttelte sie. Dann holte
er kaltes Wasser und planschte es in ihr Gesicht, aber sie wollte
nicht aufstehen. Danach fühlte er den Puls, konnte ihn jedoch
nicht spüren. "Ma, verdammt, komm zu dir! Ma? Du bist
doch nicht etwa tot?" "Pa! Kommst Du mal?" "Ja,
was ist?" fragte Pit Brown, der oben an der Kellertreppe
stand. Als er seine Frau regungslos am Boden liegen sah, stürzte
er sich die Stiegen herunter und kniete neben sie, genau auf die
Luftpumpe der Spinne, die sofort einen Sprung tat. "Was soll
dieser Unfug?" fragte Pit Eddie und warf die Spinne weg.
Er kannte diese Biester schliesslich zur Genüge. "Was
ist denn los mit Ma? Ist sie hingefallen?" Eddie konnte nicht
antworten. "Mein Gott! Hol schnell einen Doktor," meinte
er besorgt. Eddie spurtete zum Telefon und wählte die Nummer.
Der Arzt konnte nur den Tod durch Herzversagen feststellen. Die
Gewissensbisse brachten Eddie fast um und Pit war am Boden zerstört.
"Ich glaube, Pa weiss, wodurch Ma gestorben ist," dachte
sich Eddie.
Hätte Eddie in letzter Zeit Zeitung gelesen, hätte er
lesen können, dass die Umfrage und die Auswertung deren eines
anerkannten Psychologen ergeben hatte, dass in den letzten Monaten
Spinnen zu den gefürchtesten Tieren zählten. Sie könnten
von hysterischen Anfällen bis zu Herzattacken alles verursachen.
In seltenen, extremen Fällen sei Todesgefahr nicht auszuschliessen.
Die Entstehung dieser Hysterie sei noch unerforscht. Sicher hatte
auch Alex Wilson diesen Abschnitt gelesen.
Nach einer Woche hatte Pit Brown den grössten Schmerz überwunden
und ging wieder einmal zur Arbeit. Gleich suchte er das Büro
des Direktors auf und schmiss ihm die Todesanzeige und zwei dazugehörige
Zeitungsausschnitte auf den Schreibtisch. "Hier! Ich mache
Sie dafür verantwortlich! Sie wussten, dass so eine Spinnenhysterie
verbreitet war und trotzdem liessen sie diese Spinnen produzieren!
Sie -ich...!" "Wieso trotzdem? Ich würde meinen
'deswegen'. Zudem interessieren mich ihre Privatangelegenheiten
nicht," höhnte Alex Wilson kühl. "Ich reiche
die Kündigung ein!" "Das ist ihre Sache."
Der neue Sekretär Dan Hauser, ein sachlicher Geschäftsmann
nicht wie Pit, wie Alex meinte, brachte Mr. Wilson die neue Zeitung.
Auf der zweiten Seite stand geschrieben, dass die Angstwelle vor
Spinnen abgeflaut sei, aber eine noch grössere Angst vor
Schlangen herrsche. Die Hysterie sei unvorstellbar gross. Mit
Todesfällen sei zu rechnen. Das war das Massgebende in der
Meldung. Alex drückte den Knopf der Sprechanlage und rief
nach seinem Sekretär: "Ach, Mr. Hauser, sprechen Sie
bitte schnell mit der Fabrik. Sie sollen eine Gummischlange entwerfen.
Es ist darauf zu achten, dass sie lebensecht aussieht und sich
bewegen lässt."
Schon nach vier Tagen strömten die Jungen scharenweise in
die Kaufhäuser, um die neuen Gummischlangen mit Sprungfedermechanik
zu kaufen. Wer weiss, vielleicht liesse sich die Mutter oder eine
andere Person damit erschrecken?
Copyright © Oktober 1980, Wasty, Kinderspielzeug
Originaltitel: What's that terrible thing!?
100 Linien
Vorlesezeit: ca. 5 1/2 Min.
Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com
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