"Hey, schiess doch endlich!" rief Les Hughes. Er meinte
Billy Kent, der mit seinem Fussball vor einem Tor, das aus einem
Haselstrauch und einem dicken Ast bestand, hin und her drippelte.
Les war Torhüter in einem Verein und wollte nun von Billy
trainiert werden. Billy war etwas kleiner und jünger als
Les und musste sich meistens Les' Willen fügen. Beide wohnten
an der Land Street vor Kensington in gegenüberstehenden Häusern.
Sie kannten sich schon länger, gingen zusammen in den Kindergarten
und spielten nun draussen im Hof Fussball, weil es so fast das
einzige war, was man an einem Nachmittag ohne Schule machen konnte
und auch ein wenig Spass machte.
"Mach schon!" drängte Les weiter. Billy legte sich
den Ball vor und schoss. Der Ball setzte vor dem Torwart auf und
prallte von dem unebenen Boden nach rechts ab, so dass sich Les
geschlagen geben musste. Er rannte ärgerlich dem Ball nach.
Den nächsten Schuss parierte er mit einem Hechtsprung und
so zog sich das Spiel über längere Zeit hin, bis Billy
schliesslich meinte, dass er Durst haben und er eine Pause und
ein Getränk ertragen könnte. So entschlossen sie sich
zu Les in die Wohnung zu gehen, um etwas zu trinken.
"Was willst Du?" fragte Les. "Ach, gern einen Sirup".
Nachdem Les die Getränke gemixt hatte, begaben sich die beiden
ins Zimmer, um Musik zu hören.
"Mensch, tut das gut!" schwärmte Billy, der es
sich auf dem Bett gemütlich gemacht hatte. Sie hörten
der Musik zu, bis Les ein Kissen nach Billy warf. Der holte sofort
zum Gegenschlag aus und es entstand eine regelrechte Schlacht.
Es stob und Federn flogen umher. Plötzlich nahm Les Billy's
Kopf in die Klemme und das Lachen bewies, dass es nicht ernst
gemeint war. Billy konnte sich befreien und hopste zum Schrank.
"He, fang!" rief er und warf einen Tennisball nach Les.
Nach einer weiteren Balgerei hatte Les die Idee, mit dem Tennisball
spielen zu gehen. "Genau", meinte Billy begeistert und
warf den Ball zum Fenster hinaus, wo er auf der Strasse landete.
Les schloss die Wohnungstür und sie rannten auf die Wiese.
Sie warfen sich den Ball auf möglichst grosser Distanz zu
und versuchten ihn mit einer Hand zu fangen. Einmal misslang Les
ein Wurf und der Ball verschwand im Dickicht eines Baumes. Unglücklicherweise
verklemmte er sich zwischen zwei Ästen, etwa in der Mitte
des Baumes.
Mit den Steinwürfen erreichten sie auch nur, dass der Hauswart
schreiend und mit den Armen fuchtelnd dahergeeilt kam und Billy
und Les ziemlich eingeschüchtert hatte. Nachdem er wieder
weg war kletterte Les auf den Baum und konnte den Tennisball mit
Mühe herunterholen. Dann spielten sie weiter. Diesmal ging
es darum, den Ball so hoch und so weit wie nur möglich zu
werfen. Les machte den Anfang. Er warf mit äusserster Anstrengung.
Der Ball beschrieb einen Bogen und sauste durch ein Fenster im
zweiten Stock, welches geöffnet war. Zum Glück war es
die Wohnung der Kents und sie begaben sich sogleich ins Haus,
um den Ball zu holen. Die Tür war verschlossen. Seine Mutter
war also nicht zu Hause und Billy musste den Schlüssel hervorkramen.
Sie fanden den Ball im Wohnzimmer, wo er beinahe eine Vase umgeworfen
hätte. "Du, habt ihr eigentlich einen zweiten Schlüssel
für die Wohnungstür?" fragte Les. "Ja, er
hängt im Korridor am Schlüsselbrett. Wieso?" antwortete
Billy. "Nur so." "Warte schnell, ich muss noch
an ein Örtchen," sagte Billy. Kaum hatte Billy die Badezimmertüre
geschlossen, suchte Les das Schlüsselbrett und nahm davon
den Wohnungsschlüssel weg. Er ging in der Wohnung umher und
hatte endlich ein Versteck gefunden: Er legte den Schlüssel
unter das Barometer an der Wand und rückte es wieder an den
richtigen Ort. Bis dann Billy wieder kam, hatte Les dann seinen
Streich schon zur Hälfte ausgeführt, aber das Wichtigste,
nämlich Billy seinen Schlüssel abzunehmen, hatte er
noch vor sich. So ein Streich unter Freunden konnte er ihm sicher
nicht übel nehmen. "He," rief Billy aus dem Kinderzimmer,
"gehen wir wieder raus?" Er hatte schon den Schlüssel
in der Hand, als Les ins Zimmer kam. "Schau mal dort draussen,"
lenkte Les Billy ab und schnappte sich blitzschnell den Schlüssel
und eilte zur Wohnungstür. Als Billy in den Korridor trat
und den Tennisball Les zuwerfen wollte, drehte sich soeben der
Schlüssel im Schloss - von aussen. "Les, was soll das?
Mach auf!" bat Billy und rüttelte am Türgriff.
"Nein, nein, Du bleibst schön drin und ich werde jetzt
weggehen. Ich muss noch was einkaufen," spöttelte Les
übermütig. "Geh Du nur," antwortete Billy
gelassen und dachte an den zweiten Schlüssel am Schlüsselbrett.
Als er durch den Korridor ging, sah er neben dem Telephon einen
Zettel von seiner Mutter. Darauf stand, dass sie erst um zirka
20:45 Uhr kommen würde; also in ungefähr fünf Stunden.
Er war sich sicher, dass sein Vater den Schlüssel am Mittag
hier hingehängt hatte, nun hing er aber nicht da. Billy sah,
dass Les über die Strasse ging. Billy dachte, er komme sicher
gleich zurück und liesse in heraus. Als er ihn aber bald
mit seinem Fahrrad wegradeln sah, schwand diese Hoffnung und er
fand seinen Freund gar nicht mehr so spassig. Er begann nun ernsthaft
nach dem Reserveschlüssel zu suchen. Erst schaute er unter
die Teppiche, dann untersuchte er die Schränke und durchwühlte
den Abfallkorb, aber kein Schlüssel kam zum Vorschein. Er
suchte fleissig weiter und hatte nach einer guten Stunde fast
die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Fast, weil er den Schlüssel
nämlich immer noch nicht gefunden hatte. Langsam wurde er
unruhig. Sein Vater würde heute überhaupt nicht heimkommen.
Er würde also bis zur Rückkehr der Mutter warten müssen.
Die Fenster lagen zu hoch, um herauszuspringen. Die anderen Mieter
im Haus waren um diese Zeit auch nicht zu Hause. Da fiel ihm das
Telephon ein. Er würde den Hauswart rufen und der würde
mit einem Nachschlüssel kommen. Erleichtert hob er den Hörer
ab, aber nur Rauschen war zu hören. Die Leitung war tot.
Obwohl so etwas hier draussen öfters geschieht, war Billy
darüber sehr aufgebracht. Ein letzter Hoffnungsschimmer liess
ihn ins Badezimmer gehen. Er schraubte den Wasserreservoirdeckel
des WC's ab; schraubte ihn aber gleich wieder auf. Hier konnte
der Schlüssel ja gar nicht sein, weil er hier war, als Les
ihn versteckt hatte. Oder, hatte er ihn etwa mitgenommen? fragte
er sich.
Billy schnüffelte plötzlich in der Luft, denn es roch
nach Rauch, der aus der Wohnung zu kommen schien.
"Verstehen Sie, mein Leser, es roch nach Rauch in der Wohnung?!"
Er folgte dem Brandgeruch und sah, wie sich aus der Küche
Rauchschwaden wälzten. Er erschrak. Er war eingeschlossen,
das Telephon war defekt, es waren keine anderen Leute im Haus,
die Fenster waren zu hoch oben und es brannte. Aus dem Spass schien
Ernst zu werden. Die Küche bot ein erschreckendes Bild: eine
Herdplatte glühte - (Mrs. Kent hatte vergessen, sie abzuschalten)
- und von dort her züngelten Flammen in alle Richtungen.
Es brannten schon ein Küchenschrank und das Gewürzgestell.
Die Wände bestanden zum Teil aus Holz und waren bereits schwarz
und das Feuer breitete sich weiter aus. Jetzt brannte auch schon
der Boden.
Billy geriet in Panik. Er versuchte mit den Händen Wasser
vom Badezimmer in die Küche zu bringen, was natürlich
ein aussichtsloses Unternehmen war.
Nach einer Viertelstunde hatte das Feuer Besitz vom Korridor ergriffen
und die Küche war ausgebrannt. Billy hoffte, dass jemand
ausserhalb das Feuer sehen würde und dann Hilfe holen würde.
Er wusste, dass er, um die Flammen zu löschen, einen grösseren
Behälter für Wasser finden musste. Nach einer verzweifelten
Suche fand er im Schrank einen Kanister der Verdünner enthielt.
Erst musste er diesen ausschütten. Unglücklicherweise
kippte er in der Eile fast den ganzen Inhalt über seine Kleidung.
Er stürzte sich todesmutig in die Flammen, um Wasser aus
dem Badezimmer zu holen. Ein grauenhafter, schmerzverzerrter,
angsterfüllter Schrei vermischte sich mit dem Knistern des
Feuers. Billy war hell erleuchtet und leuchtende Blitze zuckten
an ihm: er hatte Feuer gefangen. Wild schlug er um sich. Damit
tat er aber genau das Falsche, denn nun loderte das Feuer noch
heftiger. Er versuchte, die Tür zu erreichen. Kurz davor
hielt er in seiner Bewegung inne und stürzte gegen die Wand.
Ein Barometer fiel unter seiner Last zu Boden. Etwas metallisches
klimperte.
Obwohl Billy Kent tot war, hörte er keineswegs auf zu brennen.
Die Flammen versengten seine Haare, die Kleider und die Haut glühten
noch und es stank fürchterlich.
Die Feuerwehr konnte nur noch die Glut eindämmen und eine
total verkohlte Leiche bergen. Ein Schlüssel lag neben ihr
und man fragte sich, warum er nicht vorher die Tür nach draussen
geöffnet hatte. Es war nämlich der Wohnungsschlüssel.
Alles war stumm vor Schreck.
Das war genau der Zeitpunkt, als Les Hughes mit seinem Fahrrad
in die Land Street einbog, um seinen Freund Billy zu befreien.
Er sah die Menschenmenge und die Trümmer des Hauses der Kents,
konnte oder wollte aber nichts begreifen und schaute Hilfe suchend
weg vom ehemaligen Haus. In einem Garten, einige Häuser weiter
vorne sah Les einen anderen Jungen namens Bert. "Hallo, Bert!"
rief Les, "kommst Du mit mir Fussball spielen?"
Copyright © Oktober 1980, Wasty, Bubenstreich
Originaltitel: No key for the door
138 Linien
Vorlesezeit: ca. 8 Min.
Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com
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