Soeben wollte Eamonn Fay sein Haus verlassen, als er wieder von
einem dieser fürchterlichen Hustenanfällen überwältigt
wurde und keuchend und röchelnd zu dem Schrank mit den Medikamenten
stolperte. Mit zitternden Händen führte er das Fläschchen
an den Mund und nahm einen grossen Schluck von dem Hustenmittel,
das rot-braun schimmerte und nach nichts Definierbaren schmeckte.
Sogleich besserte sich sein Zustand. Er setzte sich hin und wischte
sich den kalten Schweiss von der Stirn. Jetzt war es wirklich
höchste Zeit, um zum Doktor zu gehen. Er machte sich auf
den Weg; trotz der milden Temperatur in einen dicken Schal gehüllt.
Mr. Fay litt seit einiger Zeit an einem immer schlimmer werdenden
Husten. Er war zwar auch ein starker Raucher und Trinker, aber
nie hätte er deswegen gedacht, dass das etwas schaden könnte.
Vor einer Woche war er dann deswegen zum ersten Mal zum Arzt gegangen,
der ihm ein Mittel verschrieb und sich nun von dessen Wirkung
überzeugen wollte...
...was leider negativ ausfiel. Der Saft linderte zwar den Anfall,
aber nach kurzer Zeit kehrte dieser um so heftiger zurück.
Als ihn der Arzt dann noch auf Herz und Nieren überprüft
hatte, warf er einen nachdenklichen Blick in seine Akten. Dann
sagte er mit angespanntem Gesicht: "Mr. Fay, sie wissen ich
bin für Ehrlichkeit und Direktheit und sie sind ein Mann,
der, so glaube ich, der Wahrheit ins Auge sehen kann. Nach dem
Zustand ihrer Organe, besonders der Leber und der Lungen, zu urteilen,
muss ich ihnen, wenn auch ungern, mitteilen, dass Sie nur noch
etwa zwei Monate zu leben haben."
Er schaute dem Patienten ernst und abwartend in sein verstörtes
Gesicht. "Doktor, was Sie da sagen ist sehr erschütternd.
Sie irren sich da auch nicht?"
"Nach den Ergebnissen der Untersuchung: Nein."
"Ja, und was soll ich jetzt tun? Das kommt alles so überraschend!"
"Wissen Sie, es ist mir schon etwas peinlich. Ich an Ihrer
Stelle würde das Leben noch geniessen, solange ich könnte.
Sie haben ja nichts zu verlieren."
"Ja, aber ich muss erst mal all das verdauen. Sie werfen
mir da an den Kopf, dass ich so gut wie tot bin und sprechen von
'geniessen'."
"Entschuldigen Sie, das war töricht von mir. Soll ich
ein Taxi bestellen?"
Völlig niedergeschlagen sass Mr. Fay zu Hause im Sessel und
dachte, dass jetzt alles egal sei; dass er nichts tun könne
gegen das Schicksal und, dass es vielleicht nur ein böser
Traum sei.
Einige Tage versteckte er sich in seiner Wohnung, bis ihm bewusst
wurde, dass er seine gezählten Tage so nur verschwenden würde.
Der Rat des Doktors kam ihm wieder in den Sinn und auch er kam
bald auf dasselbe: Er würde das Leben noch in all seinen
Möglichkeiten ausschöpfen! Jawohl, das war das einzig
richtige! Er hatte genug Geld auf der Bank, um knapp zwei Monate
lang in Saus und Braus zu leben. Er würde sich noch alles
leisten.
Gleich am nächsten Morgen eilte er zur Bank und hob alle
seine Ersparnisse ab. Die Leute dort staunten nicht schlecht und
Mr. Fay bekam sogar einen Aktenkoffer für den Geldtransport
geschenkt. Als nächstes ging er zu einem Masschneider und
liess sich einen erstklassigen Anzug anfertigen. Danach ging er
zu einer Autovermietung und mietete sich einen teuren Wagen. Schliesslich
kaufte er sich noch einige teure Spirituosen und in einem Delikatessengeschäft
Vorräte für eine halbe Woche. Zufrieden fuhr er nach
Hause, mixte sich ein Getränk und bereitete das Mittagessen.
Er dachte schon daran, sich einen Diener zu leisten, doch er wollte
lieber noch allein und ungestört sein.
Am Nachmittag schaute er sich die Stadt an. Das hatte er zwar
schon oft gemacht, aber jetzt sah er sie mit anderen Augen an.
Er fuhr an den Casinos, Bars und Nachtclubs vorbei und merkte
sich von einigen die Namen. Er wollte aber noch nicht übertreiben.
Er wollte sich seine Vergnügen aufteilen. Also fuhr er nach
Hause und konnte seit langem wieder tief und mit süssen Träumen
schlafen.
Er schlief bis gegen Mittag und fing den Tag mit einem grossen
Essen an. Gegen Abend fuhr er dann in die Stadt. Er ging in ein
Spielkasino und begann gleich zu spielen. Er probierte sein Glück
erst beim Roulette, dann beim Würfeln, und nachdem er noch
bei einem Kartenspiel mitgemacht hatte, hatte er eine hübsche
Summe zusammen. Sogleich ging er weiter und genoss das Nachtleben,
von dem er bisher nicht viel gehalten hatte. Er amüsierte
sich bis in den Morgen hinein und schlief den halben Tag lang.
Nachdem er etwa einen Monat lang einen solchen Lebenswandel geführt
hatte, zog er eine Zwischenbilanz: Er hätte jetzt noch etwa
einen Monat zu leben und das Geld war schon bald ausgegeben. Was
sollte er jetzt bloss tun? Er wollte sein Leben ja nicht als armer
Mann beschliessen. Er hatte ziemlich Speck angesetzt und den wollte
er nicht wieder loswerden. Sollten die Totengräber ruhig
etwas zu tragen haben. Er beschloss, die Möbel, die er in
diesem Haus nicht mehr brauchte, zu verkaufen. Er tat dies auch
und konnte mit dem Geld etwa eine Woche weiterleben, wie er es
jetzt gewohnt war.
Doch auch dieses Geld ging wieder zur Neige bevor die zwei Monate
um waren und er gestorben war. Er machte sich nun ernsthafte Sorgen
um seine Zukunft und jemanden, der sie lösen würde,
konnte man nicht kaufen. Er schickte die beiden Mädchen,
die auf seinen Knien sassen, nach Hause, öffnete eine neue
Flasche Champagner, setzte sich in seinen grossen Sessel, den
er nicht verkaufen wollte, und begann, seine Lage zu überdenken.
Er kam zu dem Entschluss, dass er bei einem Überfall nichts
zu verlieren hätte. Bis man ihn gefunden und verurteilt hatte,
war er schon lange tot. Das Risiko schien ihm gering. Er kaufte
sich gleich mit dem letzten Geld einen Revolver und plante den
ersten Überfall. Für eine Bank hatte er zuwenig Erfahrung,
aber der Gemüsehändler an der Ecke schien ihm geeignet.
Er leistete keinen grossen Widerstand und Mr. Fay war um einige
Dollars reicher. Doch das war immer noch zu wenig. Er fuhr zu
einem teuren Pelzgeschäft. Dort würde sicher etwas mehr
Geld in der Kasse liegen. Er bedrohte den Verkäufer mit der
Waffe, doch der hatte auch eine. Mr. Fay schoss zuerst und traf
ihn in den Kopf. Er nahm das Geld aus der Kasse und raste nach
Hause. Er machte sich nicht viele Gedanken über den Mord.
In zwei Wochen würde er sowieso sterben. Er konnte die, die
ihn auf den elektrischen Stuhl bringen wollten, richtig überlisten,
und das fand er das Lustige an seiner Lage. Im Prinzip konnte
er soviele Leute umbringen, wie er wollte ohne mehr bestraft zu
werden können.
In den letzten zwei Wochen hatte er beinahe vergessen, dass er
bald sterben sollte. Er war fröhlich und genoss die Vergnügen,
die ihm sein Geld ermöglichte. Nun war die Frist abgelaufen;
schneller als er dachte. Er war deprimiert und wartete zu Hause
in der Wohnung auf den Tod. Er wartete und wartete und wagte kaum
zu schlafen, weil er fürchtete, nicht mehr zu erwachen. Nur
schon der Gedanke, dass es jeden Moment geschehen könnte,
liess sein Herz beinahe stillstehen.
Nach vier Tagen lebte er immer noch, oder war das etwa schon der
Tod? "Und hatte mich der Arzt schon für tot erklärt?
Würden bald einige Leute ins Haus einbrechen, um mich zu
holen?" fragte er sich.
Da klingelte das Telefon. Er erschrak, weil er schon seit Tagen
kein Geräusch mehr gehört hatte. Am Apparat war der
Arzt und sagte ihm, dass er schnell herkommen solle. Er hätte
sich irgendwie geirrt.
Sofort war Mr. Fay hellwach und wieder voll da. Er war wütend
und machte sich auf den Weg zum Arzt.
Dort angekommen musste er nicht lange warten. Der Arzt kam bald
mit strenger Miene. Er entschuldigte sich auf mannigfaltige Weisen
und erklärte, dass Mr. Fay Opfer eines Missverständnisses
geworden wäre. Er müsse gar noch nicht wegen der Krankheit
sterben. Vielmehr hätte er noch lange zu leben, falls er
nicht unter ein Auto komme oder erschossen werde.
Augenblicklich war ihm klar, dass er nun ein gewöhnlicher
Mörder war, der es sich schwer tat, der Polizei zu entrinnen.
Mr. Fay sah da nur eine Lösung; es war ein genialer Plan.
Der Arzt sagte zu Mr. Fay, dass er die Rechnung natürlich
nicht zu bezahlen habe und von jetzt an immer gratis zur Untersuchung
kommen könne. Er hätte aber auch Verständnis, wenn
er einen anderen Arzt wählen wolle. Es war ihm richtig peinlich.
Aber er hatte einen schweren Fehler mit Folgen für beide
gemacht. Der Arzt musste umgebracht werden. Es ging lautlos und
ohne Spuren von Gewalt vor sich. Nun zog ihm Mr. Fay seine Kleider
an und steckte ihm seine Ausweise zu. Die beiden sahen sich zum
Verwechseln ähnlich. Jeder würde glauben, Mr. Fay's
Todesfrist sei hier in der Praxis abgelaufen und ohne grosse Umstände
würde man den Gestorbenen begraben.
Nachdem er der Polizei erklärt hatte, dass Eamonn Fay an
einer unheilbaren Krankheit litt und ihr unglücklicherweise
gerade bei seinem Besuch beim Arzt erlegen sei, gab er bald seinen
Beruf als Arzt auf und fing in einer anderen Stadt ein neues und
langes Leben an.
Copyright © April 1983, Wasty, Nicht mehr lange
Originaltitel: You'll die
136 Linien
Vorlesezeit: ca. 9 1/2 Min.
Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com
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