Leise schlich Theo Mallory durch eine der dunklen Seitengassen im New Yorker Stadtteil Manhattan. Nach einigen Schritten sah er sein Ziel, trotz der Dunkelheit und dem leichten Nebel, der vom Meer her hereinrollte, nämlich die Feuertreppe an der Rückseite eines alten Gebäudes aus Backstein. Es war eines dieser Häuser, die von vorne recht anständig aussehen, auf der Rückseite jedoch vor Dreck stanken. Er zwängte sich zwischen Mülltonnen und Kisten durch. Er war jetzt schon beinahe bei der ersten Treppenstufe, als er über eine verbeulte Blechbüchse stolperte, sich aber noch am Treppengeländer festhalten konnte. Erschrocken drückte er sich unter die Treppe und blickte sich vorsichtig um, ob niemandem das Geräusch aufgefallen war. Wahrscheinlich waren sich die Bewohner aber an solches gewohnt, da es überall von herumstreunenden Katzen wimmelte. Als er sich überzeugt hatte, dass keine Teller oder sonstiges Gerät zu fliegen kam, legte er die Büchse säuberlich und leise in eine Mülltonne, die noch am wenigsten überfüllt war. Nun wurde endlich, wenn auch vom Nebel leicht verhüllt, ersichtlich, warum eine solche Vorsicht geboten war: Theo Mallory trug Handschuhe, ein schwarzes Köfferchen, eine tiefgezogene Wollmütze und dunkle Kleidung und er glich somit einem dieser kleinen Einbrecher, die hier in der Gegend heimlich tätig waren und die von der Polizei als "kleine Fische" so nebenbei einmal ertappt werden. Mallory begann darauf die Treppe emporzusteigen und vermied es, ein Geräusch zu verursachen. Auf einer Zwischenebene angelangt, hob er sachte eine im Weg stehende Katze auf und stellte sie hinter sich auf ihre weichen Pfoten. Seltsamerweise blieb sie nicht stehen, sondern kippte zur Seite und blieb liegen. Sie war schon tot. Als er sodann die zweite Etage erreicht hatte, machte er sich daran, ein Fenster zu einem Büro aufzubrechen. Es liess sich bald geräuschlos und leicht nach oben schieben. Auf dem Fenstersims hatte sich eine dicke Schicht Staub gesammelt und Mallory hinterliess darin, trotz der Handschuhe, Abdrücke. Da keine Anzeichen für einen Einbruch vorhanden sein sollten, wischte er allen Staub vom Fenstersims. Er entnahm dem Koffer eine kleine Taschenlampe und sah sich in dem mittelgrossen Raum um. Er sah eine Garderobe, Aktenschränke, einen Schreibtisch und einen Wandsafe, der sein Interesse sogleich weckte. Auf Zehenspitzen näherte er sich dem Safe. Als ihm ein Bürostuhl, der fast mitten im Raum stand, in den Weg kam, schon er ihn ordentlich an den Schreibtisch heran und rückte das Polsterkissen zurecht. Und weiter schlich er zum Safe vor. Jetzt war ihm nichts mehr im Wege. Wegen seinem guten Gehör und dem etwas älteren Safemodell gelang es ihm schon bald, das Stahltürchen zu öffnen. Sogleich steckte er die paar Bündel Banknoten in die Tasche, schloss die Tür wieder, verstellte die Kombination und wischte den Safe mit einem Lappen sauber. Dann tappte er leise zum Fenster zurück, an der Garderobe vorbei, wo er es nicht lassen konnte, einen Mantel schöner aufzuhängen und kroch vorsichtig durch das offene Fenster. Er schloss es säuberlich wieder und stieg die Treppe herunter. Er musst eine Mülltonne zur Seite schieben, um mit seinem um 5000 Dollar erschwerten Köfferchen aus der engen Gasse herauszutreten zu können. Unbemerkt verschwand er in einem ärmlichen Haus, gleich um die übernächste Ecke. Nachdem er in seiner Dachwohnung die Läden geschlossen hatte und in der kleinen Stube Ordnung gemacht hatte, öffnete er seinen Koffer und erfreute sich an der Beute. Der nächste Einbruch führte ihn in einen entfernteren Stadtteil und er nahm dazu schlicht sein Fahrrad, das einmal längere Zeit vor seinem Hauseingang herumstand ohne abgeholt zu werden bis er es für sich nahm. Um nicht aufzufallen verpackte er sein Werkzeug in einer Papiertüte, die er auf den schön polierten Gepäckträger klemmte. Er fuhr im späten Abendverkehr und erreichte sein Ziel nach einer knappen halben Stunde; flink verschwand er in einer Seitengasse, die wiederum zur Rückseite eines Hauses führte. Er stellte sein Gefährt an die Hausmauer und schaute sich suchend um. Es war eine ziemlich saubere Gegend, wie sein geübtes Auge in der Dunkelheit feststellen konnte. Zielstrebig klemmte er das Werkzeug unter den Arm; er beabsichtigte durch den Keller einzusteigen, da es hier keine Feuertreppe gab, um in den dritten Stock zu gelangen. Er wischte die Scherben des Kellerfensters zu einem Häufchen in der Ecke zusammen und suchte die Treppe. Er kam an einem schiefen Stapel Zeitungen vorbei, den er schnell gerade richtete. Bis er dann wieder in den Keller zurückgekehrt war, hatte er dem Putzpersonal die Arbeit schon ziemlich abgenommen. Er bestieg sein Fahrrad wieder und reihte sich in den Verkehr ein. Er musste die Papiertüte gut festhalten, damit sie nicht hinunterfiel. "Wir müssen es mit einem ganz gerissenen Burschen zu tun haben", brummte Sergeant Lyne von der städtischen Kriminalpolizei zu seinen fünf zur Verfügung stehenden Hilfspolizisten, "der aber eine kleine Macke hat: Er sorgt an den Einbruchsorten gleich für Ordnung. Er stellt nicht nur alles wieder gleich hin, wie es vor seinem Tun war, sondern stellt es, wenn es ihm nötig erscheint, noch ordentlicher hin, auch wenn er es gar nicht verschoben hat. Er wischt manchmal auch Staub und leert Aschenbecher und Papierkörbe. So kamen wir - das heisst ich - zur Feststellung, dass eine ganze Reihe von Einbrüchen einer und derselben Person zuzuschreiben ist. Wir hoffen, meine Herren, diesen Fall bald abgeschlossen zu haben." Die Polizisten trabten zur Tür hinaus und atmeten kurz auf: die Unterredung mit ihrem Vorgesetzten war beendet. Er war einer dieser ehrgeizigen, bürgerlichen Polizisten, die versuchten, etwas Höheres zu werden und ihre Wut und Enttäuschung dann an ihren Untergebenen ausliessen. Der zuständige Polizist leitete die Nachricht seines Chefs per Funk an die anderen Polizeistationen weiter und informierte die Presse. Nach einer Stunde würde "der Einbrecher mit der Macke" in ganz New York gesucht werden. Nun hiess es abwarten und der anderen Arbeit fleissig nachzugehen. Der Einbrecher, in Unkenntnis seiner Lage, bereitete bereits seinen nächsten Einbruch vor. Ungeachtet des Risikos mietete er sich diesmal unter falschem Namen einen Wagen. Er war jetzt vielleicht etwas übermütig geworden und hatte sich vorgenommen, einmal etwas mehr als sonst abzuräumen. Deshalb hatte er einen Einbruch in eine Bankfiliale geplant, die zwar einer weniger bedeutenden Bankkette angehörte, aber trotzdem recht vielversprechend war und nicht mit den teuersten und modernsten Alarmanlagen gesichert war. Er startete den Wage und fuhr mit mässigem Tempo, damit ihn kein Polizist wegen zu schnellem Fahrens anhalten konnte. Die Bank lag in einer etwas dichter bewohnten Gegend nahe der Randgebiete der Stadt und es erforderte etwas mehr Geschick als sonst, um dort einzubrechen. Aber er hatte sich gut darauf vorbereitet. Er parkte abseits der Bank und schritt langsam zur Hinterseite des Gebäudes, wo eine Feuerleiter angebracht war, die ihm sehr nützlich schien. Durch ein Fenster, das er, um besser durchschauen zu können, mit einem Lappen sauber gewischt hatte, stieg er in einen Raum ein, der nicht durch Alarmanlagen gesichert war. Er gelangte zu einer Tür. "Ärgerlich mit was für fettigen Händen diese Leute die Tür öffnen und schliessen", dachte er und polierte den Türgriff blank, bevor er sie öffnete. Er stand nun in einem Gang, der durch eine Treppe mit den unteren Stockwerken verbunden war. Beim Hinabgehen wischte er noch das Geländer. Das nun folgende bedarf kaum einer grossen Schilderung: Alarmanlage ausschalten, Tresor aufbrechen, Geld ausräumen, Tresor schliessen, als wäre nichts geschehen, alles in Ordnung bringen, Spuren verwischen und gleich verschwinden. Alles lief ohne Zwischenfall ab. Er verstaute die Beute im Kofferraum und fuhr in normalem Bummeltempo los. "Ganz natürlich wirken", sagte er sich, als er an einer Kreuzung vorbeifuhr, die trotz der späten Stunde noch von einem halbwegs diensttuenden Wachtmeister geleitet wurde. Langsam fuhr er an ihm vorbei. "Nur nicht schnell fahren, dann darf er dir nichts antun". Er rollte weiter, an der Kreuzung vorbei. Schweiss war auf seiner Stirn. Er blickte in den Rückspiegel: der Polizist hatte Dienstschluss, denn er nahm die Mütze vom Kopf und stieg von seinem Podest. Er war sichtlich guter Laune und strebte auf ein parkiertes Auto zu. Theo konnte sehen, wie er ins Auto stieg und in die Strasse einschwenkte, in der auch er selbst entlanggondelte. Vom vielen Schauen vergass er, ganz einfach normal weiterzufahren. Theo musste ihm dann auch aufgefallen sein. Also legte Theo die Stadtkarte ins Handschuhfach, leerte den Inhalt des Aschenbechers aus dem Fenster, faltete die Autohandschuhe... Der Polizist war gehörig aufs Gaspedal getreten, hatte Theos Wagen überholt, hielt an und gab ihm zu verstehen, dass er anhalten und aussteigen soll. Der Polizeimann machte ein ernsthaftes Gesicht und fragte den erstaunten Einbrecher: "Kann ich ihren Ausweis sehen? Sie sehen nicht gerade so aus, als gehöre der Wagen ihnen. Woher kommen sie?" Dem Polizisten ging es sichtlich darum, nach Feierabend noch seinen Spass zu haben. Trotzdem musste Theo sich fügen, denn der Polizist vertrat trotz allem das Gesetz und konnte ihm eine Strafe aufbrummen. "Dies ist ein Mietwagen. Hier sind meine Papiere". Nachdem der Polizist diese begutachtet hatte und Theo schon glaubte, weiterfahren zu können, meinte der andere so ernst wie möglich: "Kommen Sie bitte mit auf die Wache zur Alkoholkontrolle". Theo blieb keine andere Wahl. Jetzt konnte er sich keinen Zwischenfall leisten. Und nachher würden sie ihm gehen lassen. Er war ja kein Spielverderber. Hoffentlich wird er nicht in den Kofferraum schauen. Auf der Wache lag ein Polizist halbschlafend im Bürostuhl. Offenbar war der Chef nicht da. Der Schlafende wurde wachgerüttelt und der eine musste dem anderen wohl zugezwinkert haben, denn als er die Papiere gezeigt bekam, sagte er feierlich: "Nun, Mr. Mallory, oder wie auch immer Sie heissen, es tut uns leid, aber wir müssen Sie für eine Nacht hierbehalten. Wollen Sie bitte freiwillig in die Zelle gehen?" Die beiden hatten Mühe, ein laute Grölen zu verbergen. "Das können Sie doch nicht machen!" Er glaubte nicht mehr daran, dass sie sich begnügen würden, ihn gehen zu lassen. Sie würden ihr Spässchen etwas weiter treiben. "Wenn das ihr Vorgesetzter wissen würde! Haben Sie keine Angst, dass ich es ihm erzählen werde?" "Seien Sie still und schlafen Sie erst einmal, ha, ha!" Widerwillig betrat er das Gefängnis. Es herrschte dort ein ziemlicher Saustall und Theo begann eifrig aufzuräumen. Obwohl der Wachtmeister schlaftrunken war, sassen ihm noch die scharfen Worte seines Vorgesetzten Sergeant Lyne im Nacken: "Er hat so eine Macke. Er räumt überall auf." Er griff zum Telefon und wählte die Nummer, unter der der Sergeant zu erreichen war: "Psst, hallo Sergeant Lyne, ich habe einen tollen Fang gemacht. Zufälligerweise..." Theo ahnte von der Enthüllung nichts. Ruhig war er mit der staubigen Pritsche beschäftigt. "Glück muss man haben", sagte der Wachtmeister. Er konnte nun seinen brummigen Sergeant besser leiden, wenn dieser mit drohender Stimme ausrief: "Ordnung muss sein!" Copyright © November 1981, Wasty, Eine auffällige Gewohnheit
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