Wasty Präsentiert: Die Wahl Der Qualen

Der Auftritt des Magiers

Das Licht, das von den prunkvollen, schweren Leuchtern im Stadttheater von Paris ausging wurde langsam verdunkelt und schliesslich ganz ausgelöscht. Das Sprechen der anwesenden Leute wurde zum Murmeln und die letzten Papiertüten wurden zerknüllt. Ein heller Lichtkegel richtete sich auf den Vorhang auf der Bühne. Der rote Vorhang bewegte sich wie von Geisterhand geleitet zur Seite und eine junge Frau erschien mit strahlendem Lächeln, das einen Blick auf die blendend weissen Zähne erlaubte. Sie trug auffälliges Make-up und ein bunter Federbüschel thronte auf dem Kopf. Das spärliche Kostüm glänzte silbern und golden im gleissenden Licht und Schweissperlen bildeten sich auf der Stirn. Die Ansagerin nahm ein Mikrophon in die Hand: "Bon soir, guten Abend meine Damen und Herren. Ich begrüsse Sie zum heutigen Unterhaltungsabend mit Zauberkünstlern und Artisten aus aller Welt". Nachdem sie das Programm verkündete und sich ihr schwarzes Haar zurecht strich, sagte sie in einem anderen Tonfall: "Zuerst darf ich Ihnen Monsieur Lars Törka aus Schweden vorstellen. Er hat einiges zu bieten. Lassen Sie sich überraschen!"
Nun erwähnte sie noch einige persönliche Angaben über ihn. Ein allgemeines Raunen ging durchs Publikum, als ein gelber Lichtstrahl auf eine grosse, blonde Gestalt in Frack gerichtet wurde. Zum Anfang zeigte der Zauberer einige einfache Täuschungen mit Zylinder, Tüchern und Tauben. Dann liess er Kartenspiele verschwinden und sie in doppelter Ausführung wieder erscheinen und sodann zeigte er einige Geschicklichkeitsübungen damit. Von einem sanften Applaus begleitet, ging er von der Bühne und die Ansagerin, diesmal ohne Federschmuck, stand an den Rand der Bühne und legte ihr übliches Lächeln auf. "Ich hoffe, es hat Ihnen gefallen. Als nächste werden Mr. und Mrs. Hammet aus England Ihnen ihre dressierten Hunde vorstellen." Sie verschwand wieder und gleich darauf erschienen zwei englisch gekleidete Personen mit sechs geschmückten Pudeln, die an verschiedenen Geräten herumturnten. Heimlich wurden sie mit Futterstücken sozusagen bestochen. Nun zeigten sie noch weitere Kunststücke. Das Beste davon war eine dreistöckige Pyramide. Unter vielzähligem Applaus verliess die Gruppe die Bühne. Darauf folgte ein weiterer Zauberer, der Tricke mit Feuer zeigte. Auf seiner Handfläche züngelte eine blaue Flamme, die Sekunden später in einem Zylinder weiterbrannte oder auf seinem Kopf landete ohne die Haare ansengen.

Die Auftritte steigerten sich nun dauernd und das Publikum klatschte immer heftiger. Die junge Dame kam nach jedem Auftritt immer wieder und liess das Publikum ihre Bemerkungen hören.

Nach einem Jongleur wurde eine Pause gemacht und sofort begannen die Zuschauer zu schwatzen. Einzelne zwängten sich durch die Sitzreihen und gingen aus dem Saal. An der Kasse warteten wenige Leute auf Billette, um immerhin den zweiten Teil nicht zu verpassen. Auf den Strassen waren fast keine Menschen zu sehen.

Nachdem ein Gong ertönt war, begaben sich die Leute wieder an ihre Plätze und blickten gespannt auf den geschlossenen Vorhang. Unter der Decke wallten Rauchschwaden und die kleine Lüftungsanlage brachte kaum genügend frische Luft. Es war sehr heiss und stickig. Trotzdem schienen die Zuschauer, von den Künstlern gefesselt, dies nicht zu spüren. Es wurde wieder dunkel gemacht und schon wieder stand die Ansagerin am Rand der Bühne. Sie hatte ihr Kostüm gewechselt. Sie trug jetzt ein langes Abendkleid. "Das Programm wird nun gleich weitergehen mit Chen Hung aus Japan. Er hat sich jahrelang in der Kunst der Fakire geübt. Hier ist Chen Hung."
Von östlicher Musik begleitet tauchte der Japaner aus dem schwarzen Hintergrund auf. Er sah wie ein Inder aus und trug natürlich einen Turban. Zuerst löschte er Fackeln mit dem Mund. Dann liess er eine grosse Feuerwolke aus dem Mund schiessen und setzte sich auf ein Nagelbrett. Zum Schluss beschwörte er eine Schlange, die darauf langsam aus einem Korb kletterte und brav wieder hineinschlängelte. Ein tosender Beifall folgte. Schnell wurden das Nagelbrett, der Korb und die anderen Gegenstände von Assistenten von der Bühne geschafft. Nach einigen Taschenspielertricks verschwand der Zauberkünstler wieder im schwarzen Hintergrund.

"Und nun kommen wir langsam zum Ende des heutigen Abends", verkündete die Ansagerin, "doch zuvor wird sich der grosse Mr. Blossom Woolworth aus Richmond ihnen vorstellen und sie mit seinen Tricks verblüffen. Bühne frei für den Meister der Magie." Ein auffälliges Aufgebot von Helfern stellte ein Tischchen mit den Utensilien auf ein kleines Podium auf der Bühne.
Geheimnisvoll stand der Magier auf der Bühne und das Publikum hielt den Atem an. Er zischte kurz und schon hatte er ein Tablett in der Hand, das mit drei Gläsern, die leer waren, beladen war. Obwohl dies natürlich kein Trick war, war das Publikum durch das Zischen wie gebannt.
Er kippte das erste Glas über das zweite und wie aus dem Nichts füllte es sich mit einer grünen Flüssigkeit, die im dritten Glas zu blau wechselte und zurückgeschüttet unsichtbar wurde, also verschwand. Er versetzte die Zuschauer mit noch vielen Magiekünsten mehr in Staunen. Alle starrten interessiert auf die Bühne. Ein sargförmiger, eckiger Kasten wurde auf das Podium auf zwei Stützen gestellt, nachdem der Tisch weggeschafft worden war. Die Ansagerin, die offenbar Mr. Woolworth für seinen nächsten Trick behilflich sein werden würde, trat aus dem schwarzen Hintergrund, der von künstlich erzeugten Nebelschwaden durchzogen wurde, hervor und stieg mit anmutigen Bewegungen und dem bekannten Lächeln in den Kasten. Der Magier verschloss ihn unter Aufsicht der Zuschauer. Unten schauten noch die Füsse und oben der Kopf der Ansagerin heraus. Dann liess er sich ein Säge geben, die er in der Mitte in einer Kerbe ansetzte und sie langsam hin und her bewegte. Sägemehl stieb zu Boden.

Nach fünf Minuten voller Spannung hatte er die Kiste durchgetrennt. Es waren immer noch der lächelnde Kopf, der leicht zuckte und die Füsse an den Enden zu sehen. Schnell wurde ihm die Säge abgenommen. Von einigen Sprüchen begleitet klappte er die beiden Holzteile nach hinten. Mechanisch begannen die Zuschauer zu applaudieren, was aber bald verstummte, denn aus den Sargteilen triefte Blut und es waren Innereien zu sehen. Die Teile standen getrennt auf dem Podium. Der Kopf ragte aus einem Teil, dann war der Körper unterbrochen und aus dem anderen Teil ragten zwei Füsse. Der Magier verschwand souverän im schwarzen Hintergrund, der von Nebelschwaden durchzogen war.

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Copyright © Dezember 1980, Wasty, Der Auftritt des Magiers
Originaltitel: Murder on stage
95 Linien
Vorlesezeit: ca. 5 1/2 Min.

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Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com

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