Ich sass an meinem Tisch in meinem Zimmer. Eine Kerze flackerte.
Die vier Männer, die mir gegenübersassen, warfen gespenstische
Schatten an die Wand.
"Ihr hattet doch sicher Roald McGreen gekannt. Der, der letzthin
tot im Bett vorgefunden wurde. Er fuhr vor einiger Zeit seinen
Wagen gegen einen Baumstamm, nachdem er auf nasser Fahrbahn ins
Schleudern geraten war. Der Wagen hatte Totalschaden und Roald,
der sich einen Arm gebrochen hatte und sich eine Gehirnerschütterung
zugezogen hatte, wurde in ein Spital eingeliefert. Er fand sich
dort in einem schäbigen, muffligen Krankenzimmer wieder.
Er war der einzige im Zimmer, eine Klingel, um eine Schwester
zu rufen gab es nicht. Er legte sich ins Kissen zurück und
wollte sich entspannen, als er ein feines Piepsen vernahm. Es
viel ihm sofort auf, denn sonst war nichts zu hören. Es kam
aus der rechten Ecke wo er schon ein Loch in der Wand entdeckt
hatte. Als er sich umblickte, sah er eine kleine, graue Maus auf
sein Bett zuhüpfen. Sie kam näher und näher. Schon
hatte sie den Bettpfosten erreicht und begann, ihn zu besteigen.
Roald, der immer noch unter seiner Gehirnerschütterung zu
leiden hatte und nicht fähig war, klar zu denken, fühlte
sich bedroht. Er begann zu schwitzen und blickte verstört
zu dem einen Bettpfosten, als die Maus gerade das Ende dessen
erreicht hatte und auf die Wolldecke sprang. Sie trippelte neugierig
auf seinen Kopf zu. Panik schoss in ihm auf. Er wollte das Untier
vom Bett schlagen, doch die Schmerzen hinderte ihn daran. Er schlug
den Kopf wild umher, obwohl es ihm dadurch schwindlig wurde. Die
Maus hüpfte neben seinem Kopf zur Seite und piepste. Das
nahm er aber, vielleicht zu seinem Glück, nicht mehr wahr,
denn er fiel in Ohnmacht.
Nach einiger Zeit, als die Wunden verheilt waren, wurde er aus
dem Spital entlassen. Ein panische Angst vor Mäusen war trotzdem
geblieben. Er suchte deswegen seinen Hausarzt auf, der ihm riet,
zum Psychiater zu gehen.
Der Psychiater schickte ihn in ein Kurhotel in den Bergen. Aber
auch dort wurde er von Angstanfällen geplagt. Er reiste wieder
ab.
Zu Hause ging einige Tage wieder alles gut. Er arbeitete wieder,
pflegte den Garten. Auch konnte er ruhig schlafen. Dann kam er
einmal zu mir und erzählte diese Geschichte. Er wollte über
sein Leiden sprechen und ich glaubte, dass ich ihm helfen könnte.
Noch in der nun folgenden Nacht hatte er einen Alptraum: Sachte
wurde das Fenster von einer dunkelgrauen Gestalt geöffnet.
Die Gestalt entpuppte sich - nur in seinem Traum - als riesenhafte
Maus. Sie stürzte sich auf den im Bett sich wälzenden
Roald McGreen. Die langen, spitzen Raubtierzähne blitzten
im fahlen Mondlicht, das den Raum spärlich erhellte. Mit
einem spitzen Zahn der besonders auffiel, schlich sie sich neben
das Bett, dann senkte sie den Kopf und biss zu. Er wird wohl einen
stechenden Schmerz in der Brust gespürt haben, dann lag er
still und es war mäuschenstill im Raum.
Am nächsten Morgen wollte die Haushälterin den Mr. McGreen
wahrscheinlich aufwecken. Sie sah ihn dann und schrie erschrocken
auf. Denn auf dem Bett lag Roald ruhig und tot. Blut floss aus
einer schmalen Wunde in der Brust. Der Bettlaken blutrot. So,
stelle ich mir vor, wird es wohl gewesen sein; an dem nächsten
Morgen".
Die vier wunderten sich, woher ihr Gastgeber die Todesursache
wohl so genau kannte. In der Zeitung wurde nämlich nichts
berichtet. Es gab da eigentlich nur eine Lösung. Und die
liess sie erschauern...
Es hatte alles so harmlos mit der Einladung zum Pokern begonnen.
Was war wohl der wahre Grund der Einladung? Es war ihnen schon
nicht recht geheuer.
"Die Geschichte mit dem Alptraum habe ich nur erfunden, aber
ich glaube, er wird es etwa so empfunden haben, als ich ihn besuchte",
erklärte ich während ich ein blutverschmiertes Messer
hervor holte und es meinen Gästen unter die Nase hielt. Die
wahre Absicht der Einladung würde bald enthüllt werden.
Verstört und gar nicht so überrascht wichen sie zurück.
Mit einer triumphierenden Stimme erzählte ich: "Damit
habe ich ihn erstochen. Ich kletterte in sein Zimmer, wo er schweissüberströmt
im Bett lag. Seine Augen funkelten und weiteten sich. Vielleicht
ist er erschrocken, weil ich im fahlen Mondlicht ein bisschen
unheimlich wirkte. Ich stellte mich neben sein Bett und rammte
ihm dieses Messer in die Brust. Er war sofort tot".
"Dann bist Du ein Mörder". Die vier machten lange
Gesichter.
"Nein, ich bin kein Mörder. Ich habe ihn nur vor seiner
Angst befreit", witzelte ich. Die Männer drückten
sich in eine Ecke, denn sie wollten möglichst weit von mir
entfernt sein. Sie wussten, dass sie mir nicht sonderlich sympathisch
waren. Jetzt hatten sie Angst. Ich schloss die Türe. Der
Windzug liess die Kerze fast ausgehen. Die Schatten der vier zitterten.
Ich konnte nicht sagen, ob die flackernde Kerze dies verursachte
oder ob de vier wirklich so zitterten. Auf jeden Fall begann ich,
weiter meine Opfer einzuschüchtern: "Bevor ihr euch
jetzt in eure Wohnungen verkriecht, die Tür doppelt verschliesst
und zum Fenster vorsichtig herausspäht, um zu sehen, wer
euch besuchen will, muss ich noch den Grund dieser Einladung und
die Absicht der Geschichte erläutern: "Ich kann euch
schon lange auf den Tod nicht ausstehen. Roald McGreen konnte
ich auch nicht ausstehen...". Ich schritt auf einen der vier
Männer zu. Dieser blieb wie angenagelt stehen und starrte
in meine Augen, während die anderen zur Seite traten. Er
zitterte am ganzen Leib und sein Gesicht schien blutleer. Beschwörend
begann ich zu sprechen. Die Kerzenflamme verkleinerte sich und
der Raum lag im Halbdunkel.
"Fredy", begann ich, mit Genugtuung erfüllt. Er
hätte sich am liebsten in die Wand verkrochen. "Dass
Du an Wahnvorstellungen leidest, kommt mir sehr gelegen. Du wirst
Angst haben, dass Du zu wenig tief schläfst. Du müsstest
dann ansehen, wie Dein Mörder in das Schlafzimmer tritt und
die Hände nach Deinem Hals streckt. Nicht gerade schön,
oder? Also wirst Du hastig möglichst viele, zu viele, Schlaftabletten
schlucken und der Mord ist perfekt ohne dass Dich der Mörder
angefasst hat".
Ich wandte mich von ihm ab. Ich hoffte, dass da genügte.
Er atmete die Luft in grossen Zügen ein. Die restlichen drei
drückten sich an die Wand und versuchten, sich möglichst
unauffällig zu benehmen. Ich glaubte, dass die unheimliche
Atmosphäre und meine Worte genügten, um sie einzuschüchtern
und zum Selbstmord zu treiben. So musste ich mir die Hände
nicht schmutzig machen und der Störfaktor in meinem Bekanntenkreis
ist beseitigt. Zwei Fliegen mit einem Streich.
"Keine Angst, ich mache euch ja nichts, wenigstens direkt
nicht. Aber auch wenn ich euch umbringen müsste, wäre
ich zu raffiniert für die Polizei. Ihr könnt also wählen".
Einer schritt entschlossen auf den Tisch zu, betrachtete das Messer
und nahm es endgültig in die Hand. Da verlöschte die
Kerze. Es war finster im Raum. Nur der graue Rauch der Kerze stieg
im Zimmer empor. Ein Aufschrei erklang und dumpf fiel etwas zu
Boden. Die restlichen drei tasteten sich zur Tür. Sie hatten
Todesangst und das war gut so. Ich liess sie gehen.
Während ich die Leiche in den Keller schleifte, glaubte ich,
in der Nähe mehrere Schreie zu hören. Zufrieden ging
ich schlafen.
Copyright © 1979, Wasty, Gesteuerte Selbstmorde
Originaltitel: Anguish
114 Linien
Vorlesezeit: ca. 7 1/2 Min.
In der Deutschstunde als Schulaufsatz geschrieben (Fritz Fischer, der Lehrer, gab mir sogar eine gute Note dafür!)
Last updated February 12, 2001 by Martin Mathis, e-mail lastbandit.com
|